Archiv für den Tag 23. September 2008

Wie kann man nur Bayernfan sein?

Bild: probek used under CC License

Eine der Fragen, die ich in meinem Leben mit am häufigsten gestellt bekommen habe. Eigentlich reicht es vollkommen aus die Gegenfrage mit dem entsprechend bevorzugtem Verein des Fragenden zu stellen. Schließlich würde ich lieber lachend in eine Kreissäge laufen als Fan eines anderen Vereins zu sein. Und schließlich ist die Lebensverbindung zu seinem Verein eine der emotionalsten Geschichten im Leben eines Menschen und findet somit in einer Dimension jenseits des Greifbaren statt. Aber da es seit neuestem hip zu sein scheint, selbst aus den eigenen Reihen angefeindet zu werden von verschiedenen „Support your local team“ Kaspern, will ich hier mal meine ganz persönliche Geschichte erzählen. Die Geschichte eines bis auf´s Blut stolzen Bayernfans…in Bielefeld.

Wir sind zurückversetzt in die frühen 80er Jahre in ein 100 Seelen Dorf im südlichen Niedersachsen. Die Frisuren waren gruselig, die Klamotten auch und ich war ein kleiner Hosenscheisser. Schon damals Frauenschwarm, aber das steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls konnte ich grad unfallfrei laufen, da bin ich schon den ganzen Tag hinter irgendwelchen Bällen hergerannt. Als Einzelkind in einem so kleinen Dorf, indem die Gleichaltrigen Fußball scheisse fanden, war es das größte für mich, wenn mein Halbbruder in den Ferien und an langen Wochenenden zu Besuch kam, der damals bereits im Verein spielte und sowieso in allen Belangen mein großes Vorbild war. Wenn der kam bedeutete dies stundenlang im Garten Fußball spielen bis man umfällt oder es Essen gibt. Er brachte mir mit Engelsgeduld Tricks bei und erklärte wenn es sein musste 100 mal wie Spieler XY das macht. Als glühender Bayernfan der er war, waren das natürlich neben internationalen Größen wie dem jungen Diego Maradona und dem bei der WM 82 so stark spielenden Paolo Rossi vor allem die Bayernspieler, bei denen er bei der Erklärung ihrer Tricks glühende Augen bekam und aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Das schlimmste war wenn er beim puren bolzen auf die Hütte Klaus Augenthaler war. Da konnte ich Jean-Marie Pfaff sein wie ich wollte, der hat ohne Gnade alle Körperteile meines 4 jährigen Astralkörpers rot und dark navy geschossen. War schließlich Auge, „der hat nunmal einen Bumms“.

Da ich zu der Zeit schon komplett verrückt nach Fußball war, lag es also nahe für wen ich mich am allermeisten interessierte. Für die Helden, deren Spielweise mir mein Halbbruder haarklein erklärte. Ich muss zu meiner Schande gestehen, mein größter Held zur damaligen Zeit war einfach Karl-Heinz Rummenigge. Ich konnte den Namen kaum aussprechen (O-Ton des Hosenscheissers: Rummelknigge), aber er war der Größte für mich (keine Sorge, ich war schon ein paar mal beichten deswegen). Wenn mein Halbbruder da war, bekam ich natürlich auch unweigerlich die hitzigen Wortgefechte zwischen ihm und meinem Vater mit, der seines Zeichens Bremen-Fan war. Klar auch, auf wessen Seite ich dabei Stellung bezog.

So ging das dann einige Jahre. Ich fing selbst ziemlich erfolgreich an im Verein Fußball zu spielen und meine Idole waren immer Rote. Daran konnte auch die Freundschaft meines damaligen Vereins mit Werder Bremen und einigen Freundschaftsspielen gegen deren Jugendmannschaften und Hallenturniere bei ihnen nichts ändern. Da konnte ich mit meiner Mannschaft noch so oft in deren Vereinsheim neben Otto Rehhagel und einigen seiner Mannen nach den Turnieren die Pommes essen und die Stiefel Kindercola trinken. Hängen bleibt bis heute eigentlich nur, dass Otto mir bis zum heutigen Tag noch einen Kugelschreiber schuldet, den er nach einem Autogramm für meine Mutter (hoffentlich nicht) böswillig eingesteckt hat (falls du das liest Otto, rück den Kuli raus, Adresse steht im Impressum).

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Irgendwann in den Jahren nahm mich mein Vater mal mit ins Weserstadion. Es war die Saison 86/87 und er entführte mich mitten in deren Fankurve. Ich war viel zu klein für überhaupt irgendeine Fankurve. Und viel zu klein um zu verstehen was geht und was nicht. Jedenfalls erinnere ich mich an eine ziemlich aggressive Stimmung, die nicht grad besser wurde als ich nichtsahnend den 1:1 Ausgleich durch Hansi Pflügler in der relativ späten 75. Minute lautstark bejubelte. Es ist wenig überraschend, dass wir die letzten 10 Minuten im Autoradio verfolgt haben. Heute weiß ich wieviel Glück wir hatten überhaupt bis dahin gekommen zu sein.

Dann kam die Saison 87/88. Wir spielten herzerfrischenden Offensivfußball, bekamen aber zu viele Buden hinten rein. Der Endspurt der Meisterschaft versprach spannend zu werden, doch wir vergeigten ganz untypisch für uns in der Endphase einige Spiele. Das fing an mit einer Niederlage gegen Hannover, ging weiter mit einer Niederlage gegen Lautern und setzte sich fort mit einem fürchterlichen 0:0 gegen Uerdingen. Ich bekam jedesmal schön was auf die Ohren von meinem Vater, der mit jedem Spieltag mieser wurde in seiner Fopperei. In dem Moment wo Bremen sicher Meister und ich am Boden zerstört war, sah ich bei einer dieser Verbalattacken komplett rot, nahm drei Meter Anlauf und trat ihm mit solcher Wucht gegen das Schienbein, dass es wochenlang grün und blau war und ich ungefähr die selbe Zeit wegen verstauchtem Fuß gegen keinen Ball treten konnte. Das war der Moment an dem aus – zugegeben starkem – Interesse Fanatismus wurde. Nebenbei bemerkt…dies geschah in der Niederlage. Ich kann nur für mich sprechen, aber die Mär von der Wahl des FC Bayern als Verein des Herzens aufgrund des Erfolges ist komplett für´n Arsch. Kein richtiger Fan sucht sich deswegen seinen Verein aus.

Dann kam der Umzug nach Bielefeld. Wie denk ich in jeder Stadt außerhalb Bayerns, wirst du hier an jedem Tag mindestens zweimal dreckig angefeindet wenn du Bayernfan bist. Doch jede einzelne Anfeindung machte schon in der Grundschule meinen Stolz nur größer. Hat mich einer gemobbt deswegen, hab ich ihm kurzerhand sein Hausaufgabenheft weggenommen und ein fettes Bayernlogo draufgemalt. Einmal konnte ich mir sogar etwas von meinem Mathelehrer anhören (O-Ton Mathelehrer: siehe Überschrift), woraufhin ich ihm vor der Mathestunde sein Lehrerpult mit allen verfügbaren Panini-Bilder der Bayernspieler volltackerte. Da ich der einzige Bayernfan in der Klasse war, folgte die Strafe zwar auf dem Fuß, aber zwei Stunden Pult mit Spüliwasser schrubben war´s mir dann doch wert.

In meinem neuen Verein hatte ich das riesige Glück, dass mein damaliger Trainer (schöne Grüße Ivan) ebenfalls unerschütterlicher Bayernfan war und ganz nach den Regeln bayerischer Demokratie die Mannschaftsfahrten nach München beorderte. So kam ich im Alter von 13 – 16 Jahren die ersten Male ins gelobte Land. Die ersten Male ins Olympiastadion und die ersten Male an die Säbener. Wundervolle Erinnerungen sind das an einen Bruno Labbadia, der verletzt, und nur kurz bei der Geschäftsstelle vorbeischauen wollend, sich eine knappe Stunde mit uns unterhielt und geduldig jede Frage beantwortete, während seine bessere Hälfte im Cabrio sitzend einen Anfall nach dem nächsten bekam (O-Ton bessere Hälfte: Bruno!! Jetzt ist aber Schluss, ich muss zum Frisör! O-Ton mein Mannschaftskollege: Dann geh doch zu Fuß! *leichter Rauch über ihrer unvorteilhaften Frisur, aber Grinsen bei Bruno*).

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Erinnerungen daran wie ich mit einem Mannschaftskollegen unschuldig tuend durch die Geschäftsstelle getapert bin, mit unserem festen Ziel ins Büro von Uli zu kommen. Und tatsächlich…irgendein freundlich unaufmerksamer Mensch ließ aus Versehen die Tür zum Flur sperrangelweit auf. Uli war leider nicht da, aber aus dem Büro ganz hinten schallten wütende Geräusche, was wir als eindeutiges Lebenszeichen deuteten. Wer auch immer das war, der hatte uns erstmal am Arsch. Es war Hörwick, der gerade damit beschäftigt war seine Sekräterin lang zu machen. Wir haben uns erstmal daneben gestellt und uns die Szenerie angeschaut, ohne das jemand großartig Notiz von uns nahm. Doch irgendwann kam natürlich die Frage wer wir überhaupt sind und was wir hier zu suchen hätten. Blitzgescheit sagte mein Mannschaftskollege, wir wollten fragen ob wir Originalbilder von den Spielen bekommen könnten. Erst hieß es unter gar keinen Umständen, die würden den Fotografen gehören. Doch wir hatten wohl beide einen ziemlichen Dackelblick drauf, woraufhin wir mit dem Hinweis es bitte nie zu verraten (Sorry, Herr Hörwick, jetzt hab ich´s doch getan) einen kleinen Stapel in die Hand bekommen haben. Diese hängen immernoch fein säuberlich gerahmt in meiner Küche.

Wunderschöne Erinnerungen an einen Lothar Matthäus. Alle kamen überpünktlich zum Training, schön brav in ihren (damals) Opel Dienstwagen und parkten auf den dafür vorgesehenen Plätzen innerhalb des Vereinsgeländes. Nur der Leitwolf kam mit quietschenden Reifen in seinem 600 SL etwa 10 Minuten zu spät vorgefahren, parkte völlig schief im Halteverbot und wirkte etwas gestresst (O-Ton Leitwolf: Jungs, wenn ihr zu spät zur Schule kommt, könnt ihr doch auch keine Autogramme mehr schreiben, oder?*Is´ klar, Lothar…*).

Nicht zuletzt wundervolle Erinnerungen an die für mich so elektrisierende Atmosphäre um und im Stadion. An eine Weltklasse-Südkurve und einer Welt, die an Faszination für mich nicht zu übertreffen ist.

Aber auch unschöne Erinnerungen. So ging ich mit drei Mannschaftskameraden von unserer Jugendherberge am Abend des Spieltages noch in voller Montur zu MacDoof, als uns plötzlich ein völlig besoffener Asi anpöbelte, wir sollen die Scheiss-Klamotten ausziehen und lallte irgendwas von hier hätte man blau zu tragen und so. Wir müssen alle 13 Jahre gewesen sein und er erwachsen und stämmig gebaut. In jedem Fall waren wir vier Halbgare aber mit einer ziemlich großen Fresse ausgestattet und pöbelten zurück. Der Penner entriss todesmutig dem schmalsten von uns seinen Schal und wollte sich aus dem Staub machen. Wir guckten uns kurz an, rannten los und sprangen ihm alle vier ins Kreuz, woraufhin der besoffene und stinkende Heckenpenner einmal ausholte und – wieder dem schmalsten von uns – voll eine durch´s Gesicht wischte. Dabei ging dessen Brille zu Bruch und kleine Narben von den heftig blutenden Schnittverletzungen waren nicht mal bei dessen Hochzeit vor zwei Jahren verheilt.

Es folgten die Jahre in denen ich meinen letzten Pfennig für die Besuche der irgendwie für mich erreichbaren Auswärtsspiele meiner Mannschaft ausgab. Oft stundenlang allein im Zug, denn so wahnsinnig war kaum einer hier. Jahre in denen aus einer glühenden Liebe ein Bund für´s Leben wurde. Jahre in denen mir klar wurde, dass Freunde und vor allem Frauen kommen und gehen, aber mein Verein immer für mich da ist und ich für ihn bis an unser Lebensende. Ist es Liebe? Nein, es ist so viel mehr als das! Denn in der Liebe weiß man nie ob es für immer ist. Man kann es nur hoffen. Und wenn die nächste Schlampe kommt weiß man nie ob man sie nicht doch flachlegen sollte. Man denkt zumindest drüber nach, alles andere wär doch gelogen. Der Verein aber ist niemals austauschbar, nicht einmal in den entferntesten Gedanken. Er wohnt nicht nur im eigenen Herz, ohne ihn gäbe es gar kein Herz. Er ist so stark ein Teil von einem selbst, dass wenn man es wegnehmen würde das Herz aufhörte zu schlagen. Es ist das eigene Fleisch und Blut.

Bleibt also die Frage…was erwarten diese Hafensänger eigentlich, wenn sie die obige Frage stellen? Das ich ihnen das in zwei Sätzen erkläre? Ich schreib hier grad einen Roman und hab immernoch nicht mal 5 % dessen erklären können was mich zum Bayernfan gemacht hat. Das ist noch so unglaublich viel komplexer, darüber könnte man eine ganze Serie von Büchern schreiben. Ich hab ja nicht mal von den großen und schmerzhaften Momente der Spiele selbst berichtet, geschweige denn versucht das riesige Gefühlsspektrum zu beleuchten, oder den Einfluss den der Verein auf die Bildung der Persönlichkeit eines (heranwachsenden) Menschen hat.

Nichts desto trotz werde ich zukünftig einfach auf diesen Link hier verweisen wenn mir nochmal ein Schlaumeier diese bekloppte Frage stellt. Zumindest wenn er aus den eigenen Reihen kommt. Die anderen kriegen eh nur ein gepfeffertes „Geh kacken! Warum bist du XY Fan?“ zu hören. Wenn ich dann zu hören kriege „weil die hier in der Nähe sind“ halt ich es für ein ziemlich beknacktes Argument gegenüber meiner Bindung zum Verein.

© 2008 Traumtorschuetze

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